15. September 2007
Führung: Prof. Dr. Helmut Weissert
Auf unserer Exkursion ins Obertoggenburg werden wir die Entstehung der Gebirgslandschaft Toggenburg rekonstruieren. Wir werden im Faltenbau Zeichen kollidierender tektonischer Platten erkennen. In Gesteinsabfolgen am Chäserrugg suchen wir nach Spuren des Treibhausklimas in der mittleren Kreidezeit, vor etwa 120 Millionen Jahren. Wir erkennen, wie verbreitetes Riffsterben mit Zeiten extremen Klimas zusammenfiel. An den Schwendiseen werden wir uns mit der jüngsten Landschaft- und Klimageschichte auseinandersetzen, die mit dem Abschmelzen der Gletscher vor 18’000 Jahren begann. Das Verständnis natürlicher Klimaveränderungen wird unseren Blick schärfen, wenn wir in die Zukunft schauen, und wenn wir Folgen der Mensch bedingten Veränderungen des Klimas diskutieren. Wenn Steine reden… Gedanken auf einer Geologieexkursion Wer mit dem Sessellift vom Oberdorf in Wildhaus Richtung Gamsalp fährt und dann weiter zum Chäserrugg hochsteigt, sieht auf den ersten Blick, dass in diesem karstigen Gebiet einst vor vielen Millionen von Jahren die Landschaft ziemlich anders ausgesehen haben muss. Links und rechts des enger werdenden Tales türmen sich geschichtete Felsen auf, so genannte gebankte Kalke, die mit Mergel- oder Sandsteinschichten abwechseln. Ein Zeitarchiv der Vergangenheit liegt vor und unter dem Wanderer ausgebreitet, ein Archiv, das dem ungeübten Auge auf den ersten Blick nur spärliche Details erkennen lässt. Doch je weiter der Besucher den schmalen Weg hochsteigt, desto eindrücklicher wird die Szenerie. Langsam gibt auch das Archiv seine Details preis. Der ETH-Professor Helmut Weissert ist Fachmann für Sedimentologie und gleichzeitig ein ausgezeichneter Vermittler und Schilderer vergangener Zeiten. Eine seiner grossen Beschäftigungen ist die Entschlüsselung solcher geologischer Archive. In kriminalistischer Manier fügt er kleinste Puzzlesteine zusammen und gelangt so langsam zu einer Übersicht, wie die Landschaft am Churfirsten in prähistorischer Zeit ausgesehen haben muss. Seine Sachkenntnis und seine ansteckende Begeisterung ziehen den Besucher in den Bann. Komplexe Zusammenhänge bricht der Wissenschafter auf einige einfache Botschaften zusammen. Aus den nebligen Umrissen lässt der Wissenschafter vor den Augen der Besucher eine Welt aufsteigen, die eindrücklicher nicht sein könnte. So finden sich am Alpennordrand heute überall solche geschichtete steile Kalkklippen wie auf den Churfirsten. Sie entstanden vor rund 135 Millionen Jahren in der frühen Kreidezeit als das ganze Gebiet der Alpen bis nach Portugal von einem flachen Schelf-Meer bedeckt war, in dem sich Kalk, aber auch Fossilien wie Muscheln, Schnecken und Ammoniten ablagerten. Zum Beweis gibt Weissert einen Hammerschlag auf einen Stein – und eine Mikrowelt fossiler Bruchstücke, Kleinstschnecken und Muscheln tut sich auf. Kreuz und quer liegen sie da und geben einen Eindruck von der riesigen Zahl an Tieren, die hier einst gelebt haben muss. So weit so gut. Doch plötzlich, und damit lässt Helmut Weissert einen ernsten Unterton durchspüren, kam in der Kreidezeit zweimal eine Krise über das Kreidemeer. Die Kalkschalenproduktion stoppte. Diese so genannten „Wachstumskrisen“ seien plötzlich entstanden und würden oft mit Zeiten erhöhter Vulkantätigkeit zusammenfallen, also einer Zeit, in der sehr viel CO2 ausgestossen worden sei. Man nehme an, dass der Vulkanausstoss in der Folge eine grosse Veränderung der Meerwasserchemie zur Folge gehabt habe. Eine Erhöhung des Kohlendioxidgehaltes in der Atmosphäre reduziere nämlich die Kalksättigung im Meerwasser und stoppe damit auch die Produktion von Lebewesen. Erhöht sich also der CO2-Gehalt in der Atmosphäre, sinkt automatisch auch die Karbonat-Übersättigung in den mit der Atmosphäre im Gleichgewicht stehenden Oberflächengewässer. Ein Rückgang oder gar eine Verhinderung der Kalkschalenproduktion sei damit die Folge. „Für unsere nahe Zukunft bereitet uns dies ausserordentliche Sorgen. Denn wenn die CO2-Zunahme in der Atmosphäre in den nächsten hundert Jahren weiter so ansteigt wie bis anhin und wie es Wissenschafter prognostizieren, dann wird in den Meeresgewässern erneut eine „Karbonatkrise“ entstehen und viele Lebewesen wie z. B. die Korallen in grosse Mitleidenschaft ziehen.“ Oben auf dem Chäserrugg angelangt wirft der Besucher nochmals einen Blick zurück ins Tal. Der zweistündige Aufstieg durch die alpine Karstlandschaft hat seine Sicht der durchwanderten Steinlandschaft ziemlich verändert. Da unten liegen vor ihm also stumm die in der Erdgeschichte zu Stein gewordenen Katastrophe, Katastrophen, die nach neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen erneut entstehen könnten…